Von Sandra Baindl
Eine musikalische Sternstunde erlebte das Publikum beim dritten Symphoniekonzert der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz in der Singener Stadthalle. Schon bei der Einführung war Chefdirigent Gabriel Venzago die Begeisterung für das außergewöhnliche Programm deutlich anzumerken. Venzago versprach ein temporeiches, explosives Programm, abseits des klassischen Kanons, das durch die Decke gehen würde.
Und er sollte recht behalten. Gleich zwei Besonderheiten erlebten die Zuhörer an diesem Abend: Zum einen stand das Symphoniekonzert ganz im Zeichen des Jazz, zum anderen ergänzten mit dem Frank-Dupree-Trio gleich drei Solisten das Orchester. Das Trio, bestehend aus dem mehrfach ausgezeichneten Pianisten und Dirigenten Frank Dupree, dem Schlagzeuger Obi Jenne und dem Kontrabassisten Jakob Krupp, ist bekannt dafür, mit den Grenzen zwischen Klassik und Jazz zu spielen.
Im ersten Programmteil führten Venzago und sein Orchester das Publikum mit zwei Stücken der zeitgenössischen Komponisten Fazil Say und Nikolai Kapustin in musikalisches Neuland. Der Abend begann mit der Komposition „Grand bazaar“ des 1970 in Ankara geborenen Pianisten und Komponisten Say. Das Stück, das im Februar 2016 uraufgeführt wurde, ließ die Zuhörer die lebhafte Atmosphäre des großen Bazars in Istanbul erleben. Was zunächst gemütlich startete, nahm mit ungewöhnlichen Rhythmen und orientalischen Klängen schnell an Fahrt auf. Erstaunlich zu sehen war, dass bereits hier das musikalische Multitalent Frank Dupree das Percussion-Register erweiterte. Ungewöhnlich ging es mit dem 1993 entstandenen Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5, op. 72 des ukrainischrussischen Komponisten Nikolai Kapustin weiter. Kapustin, der 2020 verstarb, war bekannt dafür, verschiedene Stilelemente zu vereinen. So stößt im präsentierten Klavierkonzert Rachmaninows Klavierspiel auf den Swing-Sound eines George Gershwins.
Venzago kündigte in seiner Einführung „20 Minuten in Noten gepackten Free-Jazz“ an, was für klassische Musiker eine unglaubliche Herausforderung sei und bei Jazzmusikern im Chaos ende. Wie die Aufführung des komplexen Werkes trotzdem gelingen konnte, stellten die Musiker zusammen mit Frank Dupree (Klavier) und Obi Jenne (Schlagzeug) unter Beweis. Dabei wurde ein wahres Feuerwerk an Klangfarben, das fast an Reizüberflflutung grenzte, gezündet. Der Zuhörer blieb staunend zurück und fragte sich, wie es Dupree möglich war, derart viele Noten in so kurzer Zeit zu spielen.
So fulminant der erste Teil des Abends endete, ging es mit einem Sprung über den großen Teich und bekannteren Klängen weiter. Aufgeführt wurden die Symphonischen Tänze aus „West Side Story“ von Leonard Bernstein. Diese Kombination aus Jazz-Elementen, klassischer Oper und lateinamerikanischen Rhythmen brachte Dirigent Venzago ins Schwärmen: „Von den höchsten Fortissimi-Stellen bis zum leisesten Pianissimo ist hier alles drin.“ Auch hier ergänzte das Frank-Dupree-Trio das Orchester. Spricht man von JazzElementen in der Klassik darf das Kernstück nicht fehlen: die „Rhapsody in blue“ von George Gershwin. Das Besondere an der Aufführung: auch hier kamen alle drei Solisten des Frank-Dupree-Trios zum Einsatz. Sie hatten Teile des Stücks für sich arrangiert, sodass auch Schlagzeug und Kontrabass Partien des Klaviers übernahmen. Die Drei zeigten einmal mehr, mit welcher Spielfreude und Leidenschaft sie bei der Sache sind.
Auch musikalische Ausnahmetalente aus der Region ließen sich den Abend nicht entgehen. So zeigte sich die junge Pianistin Celina Lorsch aus Volkertshausen, die im vergangenen Jahr mit dem Jugend-Kulturförderpreis ausgezeichnet wurde, völlig begeistert und schätzte insbesondere Frank Duprees Leistung: „Gerade Kapustin ist solch eine technische Herausforderung, das sind minutenlange Läufe. Ich habe es sehr genossen.“ Und damit war sie nicht allein. Das Publikum dankte mit langanhaltendem Applaus und ließ die Musiker nicht ohne Zugabe von der Bühne. Hierfür präsentierte das Frank-Dupree-Trio seine individuelle Version des Jazz-Klassikers „Caravan“ von Duke Ellington. Dabei nutzte Dupree Jennes Schlagzeugsolo, um die drei Percussionisten des Orchesters mit ihren Instrumenten nach vorne zu holen und den Abend in einer gemeinsamen Percussion Jam-Session zu fünft enden zu lassen. Das ungewöhnliche Ende eines ungewöhnlichen Symphoniekonzerts, das bei so manchem Klassikfan das Interesse an Jazz geweckt haben mag.
Zu den Personen
Gabriel Venzago: 1990 in Heidelberg geboren, begann Venzago seine musikalische Karriere im Alter von fünf Jahren mit Klavierunterricht. Er studierte Orchesterdirigieren in München und Stuttgart. Seit 2017 wird er vom Dirigentenforum des Deutschen Musikrats im Programm „Maestros von morgen“ gefördert. Seit Januar 2023 ist er Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz. Im Februar 2023 wurde er zusätzlich zum Künstlerischen Leiter ernannt.
Frank Dupree: 1991 in Rastatt geboren, begann Dupree mit drei Jahren, Schlagzeug zu spielen. Zwei Jahre später kam Klavierunterricht hinzu. Später folgte das Studium Klavier und Dirigieren an der Hochschule für Musik Karlsruhe. 2014 wurde Dupree als Einziger mit dem Preis des Deutschen Musikwettbewerbs ausgezeichnet, ist Gewinner des Opus Klassik 2018 und fest in der internationalen Musikszene etabliert.
Quelle: Südkurier